Um das Verhältnis zwischen Trainern und Schiedsrichtern geht es auch im Interview diesen Monat: Der frühere Olympia-Schiedsrichter Lars Geipel blickt auf das Spannungsfeld zwischen beiden Seiten, wirbt für die Vorteiles eines Perspektivwechsels und gibt aus seiner Erfahrung Tipps, wie der Balanceakt zum Vorteil für beide Seiten gelingen kann…
Lars, worauf kommt es im Verhältnis Trainer und Schiedsrichter an?
Der wichtigste Punkt: Beide Seiten müssen offen und bereit sein für eine Kommunikation. Ebenso müssen beide Seiten wissen, dass ein sachlicher und fachlicher Austausch immer schwieriger wird, je mehr Emotionen ins Spiel kommen. In diesem Fall sollte man das Gespräch möglichst vertragen. Eine Diskussion muss nicht unmittelbar nach dem Spiel – oder sogar im Spiel – stattfinden.
Welche Erfahrung hast du aus deiner eigenen Karriere in Punkto Trainer-Kommunikation mitgenommen?
Wenn ein gegenseitiges Verständnis da ist bzw. durch die Kommunikation nach und nach geschaffen wird, ist allen Beteiligten geholfen. Wir waren schon immer sehr kommunikativ und uns war auch das Feedback der Trainer immer wichtig, weil sie ein Spiel aus einem ganz anderen Blickwinkel betrachten. Dieser Perspektivwechsel ist unfassbar sinnvoll – für beide Seiten. Genauso empfiehlt es sich für Trainer, die Schiedsrichter-Perspektive einzunehmen bzw. sich diese von einem Unparteiischen erklären zu lassen.
Wenn wir zunächst auf die Schiedsrichter-Perspektive schauen: Wie funktioniert eine gelungene Kommunikation mit der Trainerbank?
Das lässt sich nicht pauschalisieren, denn Kommunikation ist total typenabhängig. Es mag eine Binsenweisheit sein, aber jeder Mensch ist unterschiedlich – und Trainer und Schiedsrichter sind nun einmal auch Menschen (lacht). Es ist daher schlicht und einfach „Trial and Error“. Ein Schiedsrichter muss Erfahrungen machen, die gut sind und ebenso solche, die nicht so gut sind. Und aus diesem Erfahrungsschatz kristallisiert sich für jeden Schiedsrichter die Linie heraus, die zur eigenen Persönlichkeit passt.
Wie nimmt man – gerade als junger Schiedsrichter – aus den Fehlern beim „Trial and Error“-Prinzip etwas mit?
Auch das lässt sich nicht pauschal beantworten. Grundsätzlich muss sich ein Schiedsrichter, wenn ein Spiel völlig aus dem Ruder gelaufen ist, selbstkritisch hinterfragen, warum das passiert ist. Wenn man ehrlich zu sich ist, entdeckt man oft schnell die Stellschrauben, an denen man drehen kann. In Sachen Kommunikation ist es oft die Kunst, den Mittelweg zu finden: Ein Schiedsrichter muss offen sein für Kommunikation, aber zugleich ganz klare Grenzen setzen, denn man darf im Spiel keine Diskussionsrunde aufmachen. Komplett zuzumachen, ist allerdings auch nicht sinnvoll, denn das hält man nicht über 60 Minuten durch.
Und wie findet man genau diesen schmalen Grad zwischen zu viel und zu wenig Kommunikation?
So doof es sich anhört: Trial and Error (schmunzelt). Man braucht als Schiedsrichter sehr viel Empathie, um zu erkennen, was die richtige Ansprache in der richtigen Situation ist. Wenn man länger pfeift, kennt man sicherlich viele Trainer und Spieler irgendwann und weiß, wie sie reagieren. Eine Schablone gibt es dennoch nicht. Es ist abhängig von der eigenen Persönlichkeit, von der Persönlichkeit des Trainers und den Rahmenbedingungen des Spiels. Ein Gefühl zu entwickeln, welche Ansprache in welcher Situation richtig ist, macht am Ende den Unterschied zwischen einem guten und einem sehr guten Schiedsrichter aus.
Wie sehr kann der von dir bereits genannte Perspektivwechsel dabei helfen, dieses Gefühl zu entwickeln?
Jeder Austausch mit einem Trainer kann bereichernd sein. Ein Trainer wie Velimir Petkovic ist anders als Kai Wandschneider, ein Kai Wandschneider anders als Martin Schwalb und ein Martin Schwalb anders als ein Bob Hanning. Wir mussten mit jedem von ihnen sehr unterschiedlich kommunizieren und das hat auch viel mit Psychologie zu tun, aber wir haben dabei auch sehr viel gelernt. Es ist unfassbar spannend. Wenn man mit Trainern spricht, bekommt man einen Einblick in ihre Gedankenwelt.
Was würdest du Schiedsrichter raten, die für sich feststellen, dass sie keinen Draht zu Trainern finden bzw. sich in der Kommunikation extrem schwer tun? Was könnten sie – pauschal gesagt – eventuell versuchen, um daran zu arbeiten?
Sie könnten die Kommunikation außerhalb der Halle trainieren. Letztendlich stellt sich eine Frage: Wie gehe ich auf fremde Menschen zu? Wenn man also beispielsweise im größeren Freundeskreis unterwegs ist, lohnt es sich, sich nicht zurückzuziehen, sondern offen zu sein und nachzufragen. Sich auch für neue Menschen zu interessieren und versuchen, sich in ihre Rolle hineinzuversetzen. Das ist eine schöne Übung, um herausfinden, wie der Gegenüber tickt und ein gutes Training für die Halle.
Auch in der Partnerschaft kann man den Perspektivwechsel gut trainieren. Man kann sich immer wieder hinterfragen: Warum fragt mein Partner jetzt das oder warum reagiert er so, obwohl ich das doch anders gemeint habe? Viele Partnerschaften zerbrechen, weil nicht oder nur aneinander vorbei geredet wird – und genauso ist es oft auf dem Feld. Sowohl Trainer als auch Schiedsrichter reden zwar, aber sie reden aneinander vorbei. Das kann nicht funktionieren. Man kommt erst voran, wenn man gegenseitig Verständnis zeigt und Argumente sachlich austauscht.
Wechseln wir die Seite: Was würdest du einem Trainer raten, der das Gefühl hat, einfach nicht mit den Schiedsrichter in den Dialog zu kommen?
Das ist derselbe Punkt nur aus der anderen Perspektive. Man muss sich klarmachen: Es ist in der Kommunikation ein Geben und Nehmen. Daher kann ich nur empfehlen, vor dem Spiel in den Austausch mit den Schiedsrichtern zu gehen und so einen ersten Eindruck zu gewinnen, wie sie ticken und wie ich sie ansprechen kann. Wichtig ist auch eine positive Grundkommunikation. Selbst, wenn man schon eine schlechte Erfahrung mit diesem oder jenen Gespann gemacht hat, sollte man das ausblenden statt zu befürchten, jetzt wieder verpfiffen zu werden. Neues Spiel, neues Glück!
Hand aufs Herz: Gelingt es den Schiedsrichtern wirklich, neutral in eine Partie zu gehen, wenn das letzte Aufeinandertreffen nicht gut gelaufen ist?
Einen Haken an ein Spiel zu setzen, ist für einen Schiedsrichter ein elementar wichtiger Punkt. Es muss klar sein: Jedes Spiel fängt bei Null an. Natürlich ist es typenabhängig, ob man das sofort kann oder sich damit schwerer tut, aber es ist vor allem eine Einstellungssache. Ein Schiedsrichter wird es nur dann nach ganz oben schaffen, wenn er abhaken kann, was im Vorfeld gelaufen ist. Der Hinterkopf darf einen weder positiv noch negativ beeinflussen. Man muss frei in jedes Spiel gehen und bereit sein, auf Augenhöhe zu kommunizieren – das gilt für beide Seiten.
Ein oft kritischer Punkt im Verhältnis zwischen Trainern und Schiedsrichter ist das Bankverhalten. Wie viel bekommt ein Schiedsrichter wirklich davon mit, was an den Bänken passiert?
Natürlich bist du als Schiedsrichter auf das Spielfeld von 20×40 Metern fokussiert, aber wenn ein Trainer an der Bank Theater macht, kriegst du es mit, weil es sich oft auf die Spieler überträgt. Ich sage mal so: Kein Schiedsrichter wird jubeln, wenn Daueralarm auf der Bank ist (lacht). In so einem Fall muss man das klar reglementieren.
Was würdest du den Trainern für das Bankverhalten empfehlen?
Ein Trainer, der sich nur auf die Mannschaft konzentriert, wäre für den Schiedsrichter natürlich der Idealfall, aber das kommt natürlich so gut wie gar nicht vor. Ich kann jedem Trainer nur dazu raten, sich an die Spielregeln zu halten, die der Schiedsrichter vorgibt. Ein guter Schiedsrichter macht deutlich, was er an Kommunikation zulässt und was nicht – und ein cleverer Trainer bewegt sich innerhalb dieser Grenzen und lotet maximal den Graubereich aus, wenn er sich zum Beispiel eine gelbe Karte abholt, um die Mannschaft aufzuwecken. Das Zusammenspiel zwischen Trainer und Schiedsrichter ist letztendlich wie beim Fußball, wenn man einen Pass bekommt und entscheiden muss: Spielt man den Ball sauber zurück oder verdribbelt man sich lieber hoffnungslos (lacht).
Zum Abschluss: Die DHTV pflegt seit einigen Jahren die Fortbildungsreihe „Gemeinsam statt einsam“, in deren Schiedsrichter und Trainer gemeinsam geschult werden. Wie wichtig ist ein solcher Austausch abseits des unmittelbaren Spielfeldes aus deiner Sicht?
Ich habe es immer als sehr bereichernd empfunden, wenn Trainer zu unseren Lehrgängen eingeladen waren oder wir in der Vorbereitung ein Team besucht haben, um Regelschwerpunkte zu erläutern und mit den Spielern in die Diskussion zu gehen. Dieser Austausch muss unbedingt auf allen Ebenen und in verschiedenen Formaten fortgesetzt und ausgebaut werden! Denn im Handball steht für die Trainer natürlich der Erfolgsgedanke an oberster Priorität und die Schiedsrichter wollen gut aus einem Spiel rausgehen: Das ist natürlich ein Spannungsfeld, das sich nie auflösen wird. Aber jeder Austausch ist für die gegenseitige Akzeptanz und den Respekt absolut förderlich – und damit wünschenswert.