Über die Kommunikation zwischen Trainer und Schiedsrichter: Christian und Fabian vom Dorff im Interview

April 17, 2024| Marc Fasthoff

Christian und Fabian vom Dorff gehören zu den besten deutschen Schiedsrichtern. Die Brüder gehören dem Elitekader des Deutschen Handballbundes an und leiteten am vergangenen Wochenende das Spiel um den dritten Platz beim REWE Final4. Im Interview sprechen Christian und Fabian, die beide Mitglieder der DHTV sind, über die Kommunikation als Schiedsrichter mit dem Trainer bzw. der Bank während des Spiels – und geben aus ihrer Erfahrung Tipps für beide „Seiten“ … 

Christian, Fabian, worauf kommt es an, wenn ein Trainer im Spiel in die Kommunikation mit dem Schiedsrichter gehen will?

Christian vom Dorff:

Kurz gesagt: Auf den richtigen Moment und die Form der Ansprache (schmunzelt). Aus Schiedsrichtersicht ist das ein Moment, der nicht unmittelbar nach einer vermeintlich falschen Entscheidung ist – und eine Ansprache ohne einen Puls von 160 Schlägen.

Fabian vom Dorff:

Ich würde zudem dafür plädieren, den Schiedsrichtern in den ersten zehn Minuten erst einmal die Chance zu geben, ihren Plan für das jeweilige Spiel anzuwenden und sich parallel als Trainer auf die Linie einzustellen. Ohne zu wissen, welchen Rahmen die Schiedsrichter an diesem Abend vorgeben wollen, ist es fatal für eine vernünftige Kommunikation, wenn ein Trainer nach drei Minuten schon aufbrausend an der Bank steht und einen vermeintlich klaren Freiwurf einfordert.

Wenn man im Laufe des Spiels dennoch das Gespräch suchen will: Welche Form funktioniert aus euerer Erfahrung am besten?

 

Fabian vom Dorff:

Wenn man als Trainer von der Seitenlinie den Arm hebt oder winkt, um auf mich aufmerksam zu machen – freundlich, nicht aggressiv -, funktioniert es oft. Wenn der Schiedsrichter dann zu einem Trainer kommt, kann man sich kurz erkundigen, wie sie die Situation gesehen haben und eventuell ein kurzes Gespräch suchen, aber dann muss ein Trainer auch wieder weggehen.

Christian vom Dorff:

Es ist natürlich auch eine Charaktersache, wie man eine Situation, die man unbedingt geklärt haben möchte, mit dem Schiedsrichter klären will. Platt gesagt, kann ich nur noch empfehlen: Wenn eine Entscheidung getroffen ist, ist sie auch erst einmal getroffen.

Fabian vom Dorff:

Genau, ein hektisches oder vehementes Diskutieren direkt in der Situation bringt mit Blick auf die getroffene Entscheidung in aller Regel nichts. Als Trainer ist es sinnvoller, das zu akzeptieren und dann – ohne den bereits erwähnten Puls von 160 – kann man gezielt ansprechen, was vom eigenen Gefühl her in die falsche Bahn läuft. Nach der Situation einen Hinweis zu geben, dass ich als Trainer mit der Siebenmeterlinie nicht klarkomme, bringt mehr, als jede Einzelsituation intensiv debattieren zu wollen.

Ihr betont ein ruhiges Gespräch, aber im Handball stecken natürlich unheimlich viele Emotionen …

Fabian vom Dorff:

Emotionen gehören dazu und sind extrem wichtig. Das muss in unserem Sport beibehalten und erlaubt bleiben (Christian nickt). Die erste Emotionen sollte man als Schiedsrichter daher zulassen, aber danach sollte immer der Rahmen stimmen. Dass es nicht zielführend ist, wenn ich als Trainer den Schiedsrichter anschreie, was für eine Sch*** er macht, sollte jeder nachvollziehen können, denn so will niemand angesprochen werden.

Wenn man das umdreht, würde das für Schiedsrichter bedeuten: Unbedingt die erste Emotion zulassen und nicht direkt mit der Verwarnung reingrätschen, wenn die Bank aufspringt?

Christian vom Dorff:

Wenn die Abwehr der Meinung ist, einen tollen Job gemacht zu haben, aber die Schiedsrichter einen Kontakt wahrgenommen haben und Siebenmeter geben, wird die Bank nun einmal protestierend aufspringen. Das sind Emotionen, die wir als Schiedsrichter durch alle Ligen hinnehmen müssen. Wenn sich die Bank schnell beruhigt und die Spieler wieder Platz nehmen, ist das aus unserer Sicht zu akzeptieren, weil es zum Moment passt. Wir sollten doch sensibilisiert bei Handlungen reagieren, die nicht mehr zur ersten Emotion gehören wie zum Beispiel …

Fabian vom Dorff:

… ein wildes Gestikulieren. Herumspringen. Das Schlagen gegen die Wand.

Christian vom Dorff:

… oder auch: Abwinken! Da sollten wir sofort reagieren, weil das mit Respekt nichts mehr zu tun hat. Ich finde es besonders schlimm, wenn der Schiedsrichter in ein Gespräch mit dem Trainer geht, sich dann umdreht und weggeht – und der Trainer in seinem Rücken abwinkt oder vermeintlich verzweifelt die Arme hebt, um auch noch das Publikum aufzuheizen. Das hat mit einer ersten Emotion aus dem Moment heraus nichts mehr zu tun – und da sollten wir in allen Ligen eine klare Kante zeigen, indem wir progressiv durchgreifen.

Fabian vom Dorff:

Wir wissen alle, dass wir als Schiedsrichter nie alles richtig machen werden, aber man muss auch nicht bei der ersten vermeintlichen Fehlentscheidung sofort mit einer übertriebenen Emotion reagieren.

Christian vom Dorff:

Es kann natürlich manchmal schwierig sein, weil man sowohl auf der Trainerbank als auch an der Pfeife sehr unterschiedliche Charaktere hat. Einige Schiedsrichter reagieren sofort und andere lassen mehr zu. Und es gehört auch zur Wahrheit, dass Mannschaften natürlich austesten, wie belastbar die Schiedsrichter gegenüber dem Druck von Außen sind. Unserer Meinung nach fährt man gut, wenn man die erste Emotionen zulässt, die zweite Emotion beispielsweise mit einer beruhigenden Handbewegung oder einem kurzen Hinweis anmahnt  – und dann aber auch durchzieht, wenn es zu viel wird.

Wenn Trainer und Schiedsrichter ein bisschen länger dabei sind, kennt man sich jedoch oft, weil man sich immer wieder begegnet. Hilft das nicht, weil man sich schon vorbereiten kann, wie der andere tickt?

Fabian vom Dorff:

Wir machen uns alle davon natürlich nicht frei, aber: Eigentlich müssten wir jedes Spiel bei Null anfangen. Dass ein Trainer bei der letzten Begegnung vor zwei Monaten sehr emotional reagiert hat, darf die jetzige Begegnung eigentlich nicht beeinflussen, denn wir wissen nie, was im Hintergrund abgelaufen ist. Wenn eine Mannschaft seitdem drei Spiele in Folge gewonnen hat und nicht mehr auf dem Abstiegsplatz steht, kann die Stimmung – und die Reaktion – des Trainers eine völlig andere sein. Ebenso, wie wir eine Chance von den Trainern wollen, um unsere Linie in einem Spiel einzuführen, müssen wir den Trainern eine Chance für eine unbelastete Kommunikation geben.

Christian vom Dorff:

Das gilt übrigens auch andersherum, denn manchmal hat ein Schiedsrichter auch einfach einen schlechten Tag. Vielleicht steht man unter Druck, hatte eine schlechte Anreise oder hatte im Job oder der Familie eine extrem belastende Situation. Es kann auch eine Kleinigkeit sein, die den gewohnten Ablauf stört: Wenn die Hallenuhr kurz vor dem Anpfiff nicht mehr funktioniert, steigt das Stresslevel und das beeinträchtigt dich eventuell auch noch in den ersten Minuten, weil der Kopf nicht frei ist. Oder man kämpft innerlich noch mit einer schlechten Entscheidung und reagiert gereizter, als man es normalerweise tun würde. Und wenn du Spieler oder Trainer so das erste Mal begegnest …

Fabian vom Dorff:

Wenn man als Schiedsrichter im Spiel wirklich einmal daneben gelegen hat, kann ich auch mal den Arm in Richtung Trainerbank heben und signalisieren: Sorry, mein Fehler! Da wäre ein klarer, aber leider abgepfiffener Vorteil das klassische Beispiel. Ich kann mich natürlich nicht fünfmal im Spiel so entschuldigen, aber einmal kann es helfen, um die Spannung rauszunehmen und die Szene so abzuhaken.

Christian vom Dorff:

Eine Bitte hätten wir dann aber an alle Trainer: Wenn sich ein Schiedsrichter schon entschuldigt, haut bitte nicht auch noch drauf! Natürlich kann ich die Entscheidung weiterhin nicht gut finden, aber der Schiedsrichter hat sich ja schon entschuldigt, mehr kann niemand machen. Wenn ein Trainer da noch emotional draufhaut, hat es einen gegenteiligen Effekt.

Was wäre aus eurer Perspektive denn ein cleverer Zeitpunkt, um beim Schiedsrichter – außerhalb einer strittigen Situation – einen Hinweis zu hinterlegen? Wenn man sich beispielsweise bei den Fifty-Fifty-Entscheidungen immer benachteiligt fühlt oder ein Spieler des Gegners aus der eigenen Sicht immer einen Schrittfehler oder Stürmerfoul begeht ..

Fabian vom Dorff:

In einer Spielzeitunterbrechung den Arm zu heben, um zu signalisieren, dass ich sprechen möchte, kann gut funktionieren – wenn also beispielsweise ein Siebenmeter gegeben ist und die Zeit wegen einer Zeitstrafe, einer Behandlungspause oder einem Torwartwechsel angehalten ist.

Christian vom Dorff:

Unser Tipp: Achtet darauf, dass der Schiedsrichter ohne großen Umweg zur Trainerbank kommen kann. Es ist Quatsch, den Schiedsrichter über das komplette Spielfeld zu sich holen zu wollen, denn das wird in der Regel kein Schiedsrichter machen, weil es in der Außendarstellung katastrophal ist und sich der andere Trainer schnell benachteiligt fühlen könnte.

Fabian vom Dorff:

Die Halbzeitpause ist für das Gespräch auch ein guter Zeitpunkt, aber im Idealfall nicht mitten auf dem Spielfeld. Die schlauere Lösung ist es, beim Hinausgehen im Kabinengang zwei, drei kurze Themen zu platzieren. Der falscheste Zeitpunkt wäre es hingegen, den Schiedsrichtern in die Kabine zu folgen. Das ist nicht zielführend!

Christian vom Dorff:

Auch während eines Team-Timeouts finde ich das nicht glücklich, denn dort sollte der Fokus auf der Mannschaft liegen. Eine kurze gezielte Nachfrage – beispielsweise, wie viele Pässe noch zu spielen sind beim passiven Spiel – ist natürlich möglich, wenn man sich nach der Information direkt wieder zu seiner Mannschaft orientiert. Das in der Spielfeldmitte stehende Gespann mit drei, vier Situationen zuzutexten und womöglich noch mit dem Finger durch die Halle zeigt, wo was passiert ist, kommt hingegen gar nicht gut.

Fabian vom Dorff:

Im laufenden Spiel kann man natürlich mal eine kurze Bemerkung machen, aber da ist die Gefahr sehr hoch, dass der Schiedsrichter die nächste Situation übersieht – gerade, wenn es an der Basis nur einen Schiedsrichter gibt. Außerdem kommt es in so einer Szene, wo die Aufmerksamkeit des Schiedsrichters beim Ballgeschehen ist, leicht zu Missverständnissen. Man trifft eine Entscheidung nicht, weil man mit dem Kopf beim Trainer ist oder reagiert auf eine eigentlich vorsichtige Nachfrage allergisch und extrem kurz angebunden, weil man mit dem Kopf beim Spielgeschehen ist.

Christian vom Dorff:

Auch Gestik und Mimik spielen natürlich eine große Rolle bei der Ansprache. Wenn ein Trainer die ganze Zeit mit den Armen wedelt, kann man keine gute Kommunikation führen. Und es ist bei einem Gespann sinnvoll, den richtigen Schiedsrichter auf eine konkrete Situation anzusprechen (lacht). Denn der Gespannpartner hat die Szene im Detail vielleicht gar nicht mitbekommen und ohne Headset kann man sich auch nicht schnell abstimmen.

Welchen Tipp könnt ihr einem Schiedsrichter für die Reaktion auf einen Trainer-Hinweis geben?

Christian vom Dorff:

Es gibt zwei Wege zu reagieren. Der beste Weg aus unserer Sicht ist es, einfach offen zu sagen: „Alles klar, danke für den Hinweis, achten wir drauf.“ Dann sollte der Trainer sich aber auch zurückziehen und uns die Chance geben, darauf zu achten und ggf. die Linie entsprechend anzupassen.

Fabian vom Dorff:

Der andere Weg funktioniert nur, wenn man sich sehr lange kennt, eine gute Basis hat und der Spielverlauf es hergibt. Dann kann man auch mal flapsig so etwas antworten wie: „Sorry, Schritte können wir nicht, das weißt du doch.“ Das kannst du definitiv nicht immer machen – auch nicht bei jedem Trainer -, aber wenn du es in der richtigen Situation nutzt, kann es die Spannung nehmen und man kann gemeinsam lachen.

Zum Abschluss: Welchen Tipp könnt ihr noch mitgeben?

Fabian vom Dorff:

Wir haben es früher immer sehr begrüßt, wenn ein Trainer nach dem Spiel – wenn der Spielbericht abgeschlossen ist – kurz das Gespräch sucht und ein Feedback gibt. Das hat uns als Schiedsrichter weitergebracht und besser gemacht. Oder, wenn ein Trainer drüber war im Spiel, sich vielleicht kurz dafür entschuldigt, um es für das nächste Mal ausgeräumt zu haben. Trainer und Schiedsrichter müssen doch nicht immer nur gegeneinander arbeiten.

Christian vom Dorff:

Unser Tipp für so ein Kabinengespräch an die Trainer: Bringt nicht nur schlechte Dinge mit, sondern fangt mit einer positiven Rückmeldung an. In einem Spiel, das 60 Minuten dauert, wird sich in der Regel mindestens ein positiver Aspekt finden lassen. Wenn ihr mit etwas einsteigt, was euch gut gefallen habt, hört man sich als Schiedsrichter auch die Kritik aufmerksamer an – einfach, weil man nicht sofort niedergemacht wurde. Das ist ein Weg, um sich auch in Zukunft auf einer guten Basis zu begegnen!